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EÐÝTÝM, AÝLE, KÜLTÜR-SANAT, SAÐLIK => SADAKAT INTERNATIONAL => DEUTSCHPRACHIES FORUM => Konuyu baþlatan: selcuklu - 20 Ekim 2010, 22:18:33

Baþlýk: Verbotsstopp in der Türkei
Gönderen: selcuklu - 20 Ekim 2010, 22:18:33
Verbotsstopp in der Türkei
Sümeyra legt das Kopftuch an


 


 Oliver TrenkampErbittert wurde es bekämpft, jahrzehntelang verteidigt - plötzlich ist das Kopftuchverbot an türkischen Universitäten Geschichte. Mit einem simplen Trick hebelte die Verwaltung das Gesetz aus. Jetzt feiern die Studentinnen, die seit langem davon träumen, ihr Haupt zu bedecken.

Sie hebt die Hände zum Gesicht, zupft mit den Fingerspitzen ihr Kopftuch zurecht; so wie sie es immer tut, im Café, in der Straßenbahn, früher in der Schule in Deutschland. Wenn sie jedoch in einer ihrer Germanistik-Vorlesungen saß, an der Universität Istanbul, war da kein Tuch zum Zupfen. Die kleine Geste der Selbstvergewisserung verkehrte sich auf dem Campus ins Gegenteil, in eine Bewegung der Unsicherheit und der Scham.


 Sümeyra Görsoy, 20, geboren und aufgewachsen in Wuppertal, Tochter türkischer Eltern aus der Gegend bei Izmir, heller Jeansmantel, schwarze Chucks, verabscheute diese Scham. Sie umging das Kopftuchverbot an der Universität Istanbul so gut es ging, trug Mütze oder Kapuze, drei Jahre lang. Ihre Kommilitoninnen, die mit Kopftuch kamen, mussten es häufig am Eingang der Fakultät abnehmen - die Metallcontainer zum Umziehen stehen noch immer dort, drinnen sitzen jetzt Wachmänner. Mal durften sie auch bis zum Seminarraum, mussten das Tuch auf der Toilette ablegen. Doch seit wenigen Tagen gilt all das nicht mehr. "Endlich kann ich aufrecht gehen", sagt Sümeyra.

Der Hochschulrat Yök, die wichtigste Hochschulbehörde der Türkei, hat vergangene Woche per Rundschreiben verfügt: Studentinnen dürfen bei Verstößen gegen die Kleiderordnung nicht mehr vom Unterricht ausgeschlossen werden. Damit bleibt der Kopftuchbann, der in der streng säkularen Türkei für alle öffentlichen Gebäude gilt, zwar offiziell als Vorschrift bestehen, doch in der Praxis dürfen Studentinnen jetzt tragen, was sie wollen. Dozenten ist es nur noch erlaubt, Regelverstöße zu registrieren und zu melden, nicht aber, sie zu bestrafen.

Die kemalistische Staatselite stemmt sich gegen die Mehrheitsmeinung

Damit verschieben sich die Gewichte in einem Streit, der die Türkei seit Jahrzehnten beschäftigt - und den viele Türken satt haben. Zwei Drittel halten das Tragen des Kopftuchs für eine religiöse Pflicht und für ein bürgerliches Recht. Das zeigen Umfragen. Bislang stemmte sich die kemalistische Staatselite dagegen. Das Kopftuch in einem öffentlichen Gebäude wie der Uni: unvereinbar mit dem Laizismus, der Trennung von Staat und Kirche, finden jene, die für sich in Anspruch nehmen, das Erbe von Staatsgründer Atatürk zu bewahren.

Noch vor zwei Jahren war die konservative Regierungspartei AKP von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan damit gescheitert, den Kopftuchbann aufzuheben. Zwar setzte sie sich im Parlament mit der eigenen Mehrheit durch und einige Monate durften Studentinnen auf dem Campus Kopftuch tragen, sofern sie es unter dem Kinn zusammenbanden und nicht ihr Gesicht bedeckten. Doch die Oppositionspartei, die säkulare CHP, zog vor das Verfassungsgericht: Das Tuch sei ein Symbol des politischen Islam. Die CHP setzte sich durch, fast wäre die Regierungspartei AKP damals verboten worden. Beide Seiten standen sich unversöhnlich gegenüber.

Jetzt sagen auch Oppositionspolitiker, ihnen sei sehr an einem Konsens gelegen. Selbst CHP-Chef Kemal Klçdarolu wird von der religiös-konservativen Zeitung "Zaman" mit den Worten zitiert: "Jemandem, der älter als 18 ist, diktieren zu wollen, wie er sich zu kleiden hat, ist erniedrigend." Denn im kommenden Jahr sind Parlamentswahlen. Die Opposition fürchtet eine erneute Niederlage, nachdem sie sich schon nicht mit ihrem Widerstand gegen die Verfassungsreform vor wenigen Wochen durchsetzen konnte.

"Es ist nicht richtig, ihnen das Recht auf Bildung vorzuenthalten"

Die herrschende AKP versucht, das Kopftuchverbot an mehreren Stellen zu durchbrechen. Bislang richtete Staatspräsident Abdullah Gül zum Staatsfeiertag am 29. Oktober zwei Empfänge aus und nahm damit Rücksicht auf die kemalistische Elite und das Militär. Bei einem waren Frauen mit Kopftuch eingeladen, beim anderen nicht. Dieses Jahr soll es nur einen geben - Kopftuchtragen erlaubt. Schon haben erste Oppositionspolitiker aus Protest ihre Teilnahme abgesagt.

Und die Kopftuchbefürworter bekommen Unterstützung aus unerwarteter Richtung - von Frauenrechtlerinnen. Während in Deutschland etwa Alice Schwarzer das Kopftuch an deutschen Schulen am liebsten verbieten lassen will, setzen sich ihre türkischen Kolleginnen für ein Ende des Banns ein. Ceren Dilekçi, 24 und aus Izmir, arbeitet für "Kazete", eine Frauenrechtszeitschrift. Sie selbst trägt kein Kopftuch und auch ihre Freunde und Kollegen nicht. Doch sie findet, der Bann habe nur dazu geführt, viele Frauen von Unis und Schulen fernzuhalten: "Es ist nicht richtig, ihnen das Recht auf Bildung vorzuenthalten."

Die Studentin Sümeyra trägt seit der achten Klasse Kopftuch; damals lebte sie in Deutschland und habe sich am Ende der Sommerferien entschlossen, ganz freiwillig, sagt sie, das ist ihr wichtig. "Mein Vater ist kein strenger Mann", sagt sie, ihr Bruder schon eher. Aber gezwungen habe sie nie jemand dazu, und sie würde es auch keiner anderen Frau vorschreiben wollen. Sie findet es unbegreiflich, dass ihr in der Heimat ihrer Eltern verboten wurde, was an der deutschen Realschule kein Problem war.

Zeynep trug eine Mütze - der Professor warf sie raus

Ganz traut sie der aktuellen Yök-Entscheidung allerdings noch nicht. Sümeyra sammelt die Zeitungsartikel dazu und bewahrt sie zuhause auf, für den Fall, dass sie Ärger bekommt mit einem Dozenten. Dann habe sie etwas in der Hand, sagt sie, man wisse ja nie. Von der Uni selbst gibt es bislang keine Stellungnahme.

Dabei begann hier alles. Die Freigabe geht zurück auf die Beschwerde einer anderen Istanbuler Studentin: Zeynep Incekara, 19, studiert Medizin und trug während ihrer Vorlesungen eine Mütze, so wie Sümeyra es auch lange tat. Ein Mikrobiologieprofessor warf sie vor einem Jahr aus dem Kurs. Jetzt wolle sie einfach wieder normal weiter studieren, endlich mit Kopftuch, sagte sie der Zeitung "Zaman".

Lange hing es von der Strenge der Dozenten ab, ob sie trotz des offiziellen Verbots das Kopftuch duldeten. Zwei Geschichtsstudentinnen, beide 19, erzählen, sie dürften schon seit dem Sommer mit Kopftuch zu allen Seminaren kommen. Nur eine Dozentin habe auf eine absurde Lösung bestanden: Über dem Tuch sollten sie noch eine Mütze tragen.

Sümeyra freut sich auf Gebetsräume in Deutschland

Zwei Biologiestudentinnen, 19 und 21, sagen hingegen, dass in ihren Kursen nach wie vor niemand mit Kopftuch sitze. Und sie finden das auch ganz richtig so: Es entspreche Atatürks Willen, sagt Necmiye, die ältere von beiden, es sei eine gute Tradition.


 Ähnlich sieht es Ivan Ekici, 19, der an der naturwissenschaftlichen Fakultät studiert. Auch er sei dagegen, das Kopftuch auf dem Campus zu erlauben, schließlich gäbe es kaum Jobs nach dem Studium, wo es erlaubt sei.

An der Universität Istanbul trauen sich noch immer nur wenige Studentinnen verhüllt in die Kurse. Im vierten Jahr Germanistik ist Sümeyra die Einzige, die seit einer Woche konsequent mit Kopftuch auftaucht. "Viele haben noch immer Angst, von den Professoren schlechter behandelt zu werden", sagt sie. Ähnlich sieht es in den Fächern Jura und Biologie aus, ebenso bei den Sozial- und bei den Naturwissenschaftlern: Zwei, drei, manchmal vielleicht fünf Kopftücher sieht man in den Vorlesungen.

Nach ihrem Abschluss im Sommer will Sümeyra wieder nach Deutschland gehen, ihren Master machen. Wo genau, das weiß sie noch nicht. An manchen deutschen Unis, hat sie gehört, gebe es Gebetsräume für Muslime. "Das wäre schön", sagt sie. Dann müsste sie nicht mehr in den Pausen zur nächsten Moschee hetzen, so wie hier in Istanbul, die vielen Stufen hinunter, vorbei an der großen roten Fahne mit dem Halbmond in der Eingangshalle - hoffend, dass sie es pünktlich zum nächsten Kurs zurück schafft.