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EÐÝTÝM, AÝLE, KÜLTÜR-SANAT, SAÐLIK => SADAKAT INTERNATIONAL => DEUTSCHPRACHIES FORUM => Konuyu baþlatan: selcuklu - 26 Ekim 2010, 20:04:55

Baþlýk: Gefeierter Gastarbeiter
Gönderen: selcuklu - 26 Ekim 2010, 20:04:55
Gefeierter Gastarbeiter

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Im Blitzlichtgewitter: Der Präsident der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit, Josef Stingl, Mitte, begrüßte am 27. November 1969 auf dem Hauptbahnhof im München den damals 24-jährigen Türken Ismail Bahadir, links, als "Millionsten Gastarbeiter aus Südosteuropa". Als Gastgeschenk erhielt Bahadir einen Fernseher.


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Ismail, der Millionär

Ismail Bahadir war fleißig, unauffällig und für wenige Tage eine Berühmtheit: Vor 41 Jahren wurde der Türke am Münchner Hauptbahnhof als "Millionster Gastarbeiter aus Südosteuropa" begrüßt. Bahadir malochte und verhielt sich so, wie es sich die Deutschen wünschten - er fuhr zurück in die Türkei. Von Daniel Steinvorth


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Hat er etwas verbrochen? Gibt es Schwierigkeiten mit seinen Papieren? Ein Unglück zu Hause? Der hagere junge Mann mit den tiefliegenden Augen ist verwirrt. Man hat ihn soeben per Lautsprecher im Zug ausrufen lassen. Und das so kurz vor seiner Ankunft in Deutschland. Drei Tage hat Ismail Bahadir zuvor in einem altersschwachen Eisenbahnzug ohne funktionierende Heizung ausgehalten, zusammen mit 850 weiteren türkischen Männern und Frauen. Er ist durchgefroren und erschöpft. Und jetzt soll die ganze Reise womöglich umsonst gewesen sein?

Es ist der 27. November 1969. Ein kalter Vormittag. Am Hauptbahnhof von München haben sie sich eingefunden: Journalisten, Diplomaten, Vertreter der Arbeitgeberverbände und der Bundesanstalt für Arbeit. Sie warten auf Bahadir, den 24-jährigen Türken aus Konya, Zentralanatolien, der noch nicht weiß, dass er in wenigen Minuten eine kleine Berühmtheit in Deutschland sein wird. Als einen "nicht messbaren Gewinn" für die Bundesrepublik wird ihn der Präsident der Nürnberger Bundesanstalt, Josef Stingl, begrüßen - stellvertretend für all die "willkommenen und erwünschten" Arbeitskräfte aus dem Ausland, die der deutschen Wirtschaft bei der "Bewältigung des Rentenberges", und der "Erreichung der Wachstumsziele" behilflich seien.

Bahadir ist nervös. Er hat sich für diesen Tag in Schale geworfen. Er trägt ein weißes Hemd, einen gestreiften Anzug, einen Wintermantel. Er hat keine präzisen Vorstellungen von den Deutschen, ihrer Kultur, ihren Sitten. Aber er weiß, das Wirtschaftswunderland ist seine Chance. Zu Hause, in seiner Heimat, wimmelt es von arbeitslosen und schlechtbezahlten jungen Männern. Und nicht jeder von ihnen hat das Glück, als Gastarbeiter in den hohen Norden vermittelt zu werden.

Deutschland frohlockt

Vom Geschäft mit den Arbeitsmigranten verspricht sich auch der türkische Staat viel. Man will von der Entlastung der eigenen Arbeitsmärkte und den heimatlichen Geldüberweisungen der Gastarbeiter profitieren. "Almanya", der ehemalige Waffenbruder aus dem Ersten Weltkrieg, genießt einen guten Ruf in der Türkei. Es gebe "kein zweites Land", so berichtet ein Mitarbeiter der Bundesanstalt für Arbeit in den fünfziger Jahren, "das sich hier eines so großen moralischen, zivilisatorischen und technischen Ansehens erfreut, wie Westdeutschland".

Aber auch Deutschland frohlockt. In einer Zeit, wo noch nicht unterschieden wird zwischen Portugiesen, Griechen, Jugoslawen, Italienern und Türken - sie gelten alle als Gastarbeiter - feiert die Bundesanstalt für Arbeit Menschen wie Bahadir als wertvolle Steuer- und Sozialversicherungseinzahler, die im "besten Schaffensalter zwischen 18 und 45 Jahren erheblich zur Gütervermehrung beitragen".

Mit einem Moped als Begrüßungsgeschenk haben Wirtschaftsvertreter 1964 den "Millionsten Gastarbeiter der Bundesrepublik", den Portugiesen Armando Rodrigues, bei seiner Ankunft in Deutschland hochleben lassen. Nun, fünf Jahre später, gilt es, das Medienspektakel zu wiederholen, und den "Millionsten Gastarbeiter aus Südosteuropa" zu küren, der Region mit den meisten Zuwanderern.

Mensch zum Malochen

Für Ismail Bahadir ist es ein surrealer Moment. Mit allem hat er gerechnet, nur nicht in ein Blitzlichtgewitter zu geraten, Hände zu schütteln und einen Fernsehapparat geschenkt zu bekommen. Schüchtern, fast entrückt, erträgt er die nun folgenden Reden der Politiker, die Interviews der Journalisten, bis schließlich ein Mitarbeiter des Motorenherstellers Humboldt Deutz, Bahadirs erstem Arbeitgeber, auftaucht und sich mit ihm in einen Zug nach Mainz setzt. Im dortigen "Heim für Gastarbeiter" wird der "Millionär", wie ihn die Kollegen nennen, zwei Jahre lang leben.

Es sind die eher niedrigqualifizierten und unterbezahlten Jobs, für die man sich Ende der sechziger Jahre Gastarbeiter ins Land holt. Bahadirs erstes Gehalt beträgt 730 Mark. Doch der junge Türke hört sich um, als gelernter Dreher kann er fast überall anfangen. Schon nach einem Jahr wechselt er zu einem Hersteller für Chemieapparate, kurz darauf zu einem Eisen- und Stahlbauunternehmen im 70 Kilometer entfernten Kaiserslautern. "Herr Bahadir kann selbständig arbeiten und besitzt Erfahrung im Zerspanen von im chemischen Apparatebau vorkommenden Werkstoffen" heißt es in seinem zweiten Arbeitzeugnis.

Im Herbst 1971 folgen ihm seine Frau Emine und die zweijährige Tochter Ayse nach Deutschland. Sie ziehen in eine kleine Dreizimmerwohnung in die Rheingaustraße in Mainz, wo sich Emine um die wachsende Familie kümmert, während Ismail Überstunden macht. Fünf weitere Töchter, Gülsüm, Aysel, Güler, Fatma und Betül, kommen bis 1979 in Deutschland zur Welt. Muhsin, der einzige Sohn, wird erst später in der Türkei geboren.

Gebetsteppich zwischen den Fließbändern

Mit ihren deutschen Nachbarn leben sie in höflicher Distanz, man grüßt sich, ohne sich die Namen des Anderen zu merken, Einladungen erfolgen nie. Das Leben der Bahadirs ist unaufällig, es spielt sich im Kreise der Familie und unter türkischen Arbeitskollegen ab. Der deutsche Sprachschatz von Ismail beschränkt sich auf das Wesentliche; für das, was er in der Fabrik und auf dem Werksgelände braucht. Für eine Führerscheinprüfung büffelt er 50 Fachvokabeln - Sackgasse, Einbahnstraße, Vorfahrt - während seine Frau lernt, was auf den Lebensmittelpackungen im Supermarkt steht.

Manchmal, an schönen Tagen, spaziert die Familie am Rheinufer, picknickt im Stadtpark oder geht los zum Kirschenpflücken. Von einem Bauern aus der Gegend kauft Bahadir gelegentlich ein Schaf, das er anschließend selber schlachtet - islamkonforme Metzgereien gibt es in den siebziger Jahren noch keine in Deutschland. Moscheen hingegen schon mehrere, hier verbringt der gläubige Türke einen Großteil seiner Freizeit. In Deutschland ist der Islam zu dieser Zeit noch terra incognita, achselzuckend registrieren seine Kollegen, wenn Bahadir zwischen den Fließbändern seinen Gebetsteppich ausbreitet.

Dass es für ihn und seine Familie eines Tages zurückgehen soll in die türkische Provinz, das ist für Bahadir von Anfang an klar. Seine Kinder, so beschließt er, sollen Türkisch statt Deutsch lernen, und die deutschen Behörden bestärken ihn darin. Man legt auch den Eltern nicht nahe, die Sprache des Gastlandes zu lernen. Der zurückhaltende Mann aus Konya, der kein Einwanderer sein will, nur ein Mensch zum Malochen, gefällt den Deutschen. Er ist in ihren Augen so etwas wie ein idealer Gastarbeiter, ein idealer Türke.

Der Wind dreht

1981 ist es soweit. Bahadir erkennt, dass er als Industriearbeiter keine Perspektiven mehr hat in Deutschland. Längst hat sich im ehemaligen Wirtschaftswunderland der Wind gedreht. Arbeit ist knapper geworden, Rezessionen haben das Land erfasst. Man spricht vom "Türkenproblem", von "Rückkehrförderung" für die Gastarbeiter, von "drohender Überfremdung".

Bahadir hat kein Vermögen gemacht, aber für einen Neuanfang in der Türkei, so glaubt er, sollten seine Ersparnisse reichen. Auch findet er, dass die bundesdeutsche Realität Anfang der achtziger Jahre nichts mehr für seine jugendlichen Töchter sei. Kurz vor ihrer Ausreise verscherbelt die Familie alles, was nicht in den Minibus passt, und verabschiedet sich von so manchem Erinnerungsstück - auch von Bahadirs Begrüßungsgeschenk, dem Fernseher.

Zurück in Konya eröffnet Bahadir eine kleine Maschinenwerkstatt mit zehn Mitarbeitern, 15 Jahre lang wird er hier arbeiten. Er erlebt, wie sich seine verschlafene und arme Heimatstadt in eine aufstrebende Industriemetropole, in einen "anatolischen Tiger", verwandelt. 1996 verkauft er den Betrieb und ersteht eine Eigentumswohnung am Stadtrand von Konya, in der "Hakverdi Sokak", der "Straße des Gottgegebenen". Und er beginnt Deutschland zu vergessen, Stück für Stück. Heute besitzt er nur noch die Fotoalben, die er manchmal auf seinem Wohnzimmertisch aufklappt, die Bilder von der Tour auf dem Rhein, von seinem Ausflug nach Kiel, von ihrer Wohnung in Mainz.

Er sagt, er würde sich heute wahrscheinlich nicht noch einmal in den Zug nach München setzen, wenn er 24 wäre. Es gehe seinem Land heute gut. Es gebe heute Arbeit für ihn. Aber aus damaliger Sicht sei Deutschland "ein gutes Geschäft" gewesen.