Wahlkampf-Getöse zerrüttet Große Koalition
Eigentlich hat die Große Koalition in Berlin Sachfragen zu lösen. Doch derzeit ist davon nichts zu sehen. Kurz vor den Wahlen in Hessen und Niedersachsen wird der Ton immer rauher - mitunter gar beleidigend.
Berlin - Im Streit über Jugendkriminalität geraten Union und SPD immer heftiger aneinander. Die Koalitionspartner warfen sich am Wochenende gegenseitig unwürdiges Verhalten vor. Der SPD-Innenpolitiker Sebastian Edathy bezog dies auch auf Bundeskanzlerin Angela Merkel. Das Klima in der Großen Koalition ist vergiftet, seit SPD-Fraktionschef Peter Struck dem hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch vorwarf, er habe sich über den brutalen Überfall in der Münchner U-Bahn im Dezember als Wahlkampfthema gefreut. Verteidigungsminister Franz Josef Jung sagte deshalb, Struck sei seines Amtes unwürdig.
Wahlkämpfer Koch mit Kanzlerin Merkel: Vorgeschmack auf 2009?
Damit ist der Wahlkampf in Hessen und auf Bundesebene an Schärfe und gegenseitigen Attacken derzeit kaum zu überbieten - ein Vorgeschmack auf die Bundestagswahl 2009?
CDU-Chefin Angela Merkel und der SPD-Vorsitzende Kurt Beck versuchten am Wochenende, ihren Parteifreunden im Wahlkampf den Rücken zu stärken, ohne die Debatte noch zusätzlich aufzuheizen. Dass Union und SPD Koalitionspartner sind, die sich im Wahlkampf gegenseitig beschimpfen, aber noch zwei Jahre lang in Berlin zusammen regieren wollen, macht diese Aufgabe für Merkel und Beck besonders schwierig. Trotz der Beleidigungen setzt man sich in der neuen Woche wieder an einen Tisch, was laut FDP-Chef Guido Westerwelle für "eine Portion Masochismus" spricht, die in einer Großen Koalition gebraucht werde.
Merkel appellierte an Beck, wieder "Vernunft einkehren zu lassen". Unionsfraktionschef Volker Kauder äußerte sich besorgt über den Zustand der Koalition. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla sagte der "Super Illu", die SPD habe einen Ton angeschlagen, der selbst mit laufenden Landtagswahlkämpfen nicht zu rechtfertigen sei. Dies könne "Auswirkungen auf die weitere Zusammenarbeit" in der Koalition haben. Beck sagte aber, er sehe zum Zurückrudern keinen Anlass und die Koalition sei arbeitsfähig.
"Ich will es jetzt wissen"
Heute legte Edathy, Vorsitzender des Bundestags-Innenausschusses, nach. Laut "tageszeitung" sagte der SPD-Politiker: "Ich bin fassungslos darüber, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel sich dem ausländerfeindlich geprägten Treiben des hessischen Ministerpräsidenten nicht etwa in den Weg stellt, sondern ihn auch noch unterstützt. So ein Verhalten ist einer deutschen Regierungschefin nicht würdig." Koch warf er vor, Ängste zu schüren.
Der hessische Ministerpräsident hielt dagegen. Die SPD solle gemeinsam mit der Union das Jugendstrafrecht verschärfen, forderte er in Wetzlar: "Ich will es jetzt wissen." Die Sozialdemokraten seien von Panik getrieben: "Da wird nur noch zwischen Fälschung und Beleidigung agiert", sagte der CDU-Politiker. In der "Bild am Sonntag" wandte Koch sich kriminellen Kindern unter 14 Jahren zu, die bislang als nicht strafmündig gelten. "Wir wollen keine Schnellschüsse, aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es eine sehr aggressive Kriminalität einer sehr kleinen Gruppe von Menschen unter 14 Jahren gibt", sagte Koch. In Ausnahmefällen hielte er es für sinnvoll, Elemente des Jugendstrafrechts schon für diese Altersgruppe einzusetzen. Denkbar sei auch die striktere Entziehung des Sorgerechts durch die Jugendbehörden. Kritik übte Koch an mangelnder Härte von Jugendrichtern.
SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz wies den Vorschlag scharf zurück. "Dieser Mensch dreht nun völlig durch", sagte er "Thüringer Allgemeinen". "Jeden Tag kommt er mit neuen Unsäglichkeiten, und jeden Tag werden seine Vorschläge schlimmer." An sich sei eine Debatte über jugendliche Straftäter sinnvoll. Aber sie müsse ernsthaft und seriös geführt werden. "Kinder gehören erzogen, nicht hinter Gitter", sagte Wiefelspütz.
Der bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU) stellte sich dagegen hinter Koch. Er will laut der "Passauer Neuen Presse" am Montag ein eigenes Sicherheitskonzept vorstellen. Über die offiziellen CDU-Forderungen - darunter ein "Warnschuss-Arrest", Erziehungscamps und Anwendung des Erwachsenenstrafrechts ab 18 Jahre - will die Union schon in den nächsten Tagen mit der SPD verhandeln, kündigte Fraktionschef Kauder an.